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Werkbesprechungen

 

Johann Sebastian BachJohann Sebastian Bach
1685 – 1750

Johann Sebastian Bach wurde am 21. März 1685 als achtes Kind in Eisenach in Thüringen geboren. Die Bachs waren eine Familie angesehener städtischer Spielleute, Organisten, Komponisten und Hofmusiker.
Mit zehn Jahren war Bach Vollwaise. Er kam zu seinem ältesten Bruder Christoph nach Ohrdruf bei Erfurt und besuchte dort die Lateinschule.
Als Chorschüler in Lüneburg, später als Organist in Arnstadt und Mühlhausen, dann als „HoffMusicus in Weimar bey Herzog Johann Ernsten“ findet er seine musikalischen Aufgaben.

1707 heiratet er seine Cousine Maria Barbara.
Bach wird Hoforganist und Cammermusicus, später Konzertmeister in Weimar.
Triumph und Niederlage halten sich die Waage.
Er bewirbt sich als Kapellmeister bei dem Fürsten Leopold von Anhalt-Köthen. Dort entstehen die Brandenburgischen Konzerte und das Orgelbüchlein. Überschattet wird die glückliche Zeit von dem plötzlichen Tod Maria Barbaras im Juni 1720.

Ein Jahr später heiratet Bach Anna Magdalena Wilcken.
Sie ist als Sängerin tätig, versorgt seine Kinder aus erster Ehe und bringt selbst in den folgenden Jahren 13 Kinder zur Welt. In die Zeit fällt auch sein größter beruflicher Erfolg: Im Jahr 1723 wird er Thomaskantor in Leipzig.
In Leipzig entstehen seine großen religiösen Werke: die Johannes- und die Matthäuspassion, das Weihnachts- und das Osteroratorium, die majestätische h-moll-Messe sowie fast 300 Kantaten.
25.12.1734 ist die Erstaufführung des ersten Teils des Weihnachtsoratoriums.

In den letzten zehn Jahren seines Lebens verschlechtert sich Bachs Augenlicht. Trost findet er in seiner großen Familie und seinen Kindern, von denen einige selbst talentierte Musiker sind.
Bach stirbt am 28. Juli 1750 im Alter von 65 Jahren an einem Schlaganfall.

Seine Musik geriet sehr bald in Vergessenheit.
Einige wenige Komponisten, wie Wolfgang Amadeus Mozart oder Ludwig van Beethoven, verehrten ihn. Erst dem jungen Kapellmeister des Leipziger Gewandhausorchesters Felix Mendelssohn Bartholdy gelang es in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, das Interesse an Bach erneut zu wecken.
Nun erhielt der Organist aus Thüringen die Anerkennung, die ihm gebührte: als ein musikalisches Genie von gewaltiger Schöpferkraft, das auch international seinesgleichen sucht.

 

Weihnachtsoratorium I-III
BWV 248

Die ersten drei Teile des Weihnachtsoratoriums erklangen erstmals in den feierlichen Weihnachtsgottesdiensten am Christtag, am Stephanitag und am darauffolgenden Johannistag des Jahres 1734 in Leipzig. Johann Sebastian Bach kam in diesem Jahr seiner Verpflichtung, die Kirchenmusik in St. Thomas und St. Nicolai zu bestreiten, in besonderer Weise nach: Er schuf für den weihnachtlichen Festkreis zwischen 25. Dezember und 6. Jänner aus sechs in sich geschlossenen und gleichzeitig aufeinander bezogenen Einzelteilen einen Werkzyklus, den er selbst als Oratorium bezeichnet. Damit knüpft Bach an die Werke von Heinrich Schütz (Weihnachtsgeschichte) und von Johann Schelle (Actus musicus auf Weyh-Nachten) an.

Noch im gleichen Kirchenjahr verfasst Bach das Himmelfahrtsoratorium, arbeitet am Osteroratorium und hat sogar ein Pfingstoratorium geplant, so dass sich eine vollständige Serie von Oratorien zu den Hauptfesten des Kirchenjahres ergeben hätte.

Über die Gattung Oratorium berichtet der Dichter und Zeitgenosse Bachs Christian Friedrich Hunold (genannt Menantes): „Eine Oratoria ist eine vortrefflich schöne Art, und vornehmlich wird sie uns in geistlichen Sachen und Kirchen=Stücken contentiren [zufrieden stellen]. Sie ist aber kürzlich also beschaffen, dass ein Biblischer Text und Arien unter einander gewechselt werden. Bisweilen tut man auch ein oder ein Paar Gesetze [Verse] aus einem Choral-Gesang dazu.“

Die Teile des Weihnachtoratoriums gehen fast ausschließlich auf zwei bereits vorhandene weltliche Kantaten für das kurfürstlich-sächsische Haus zurück. Die kompositorische Überarbeitung und Uminstrumentierung ist aufgrund des gemeinsamen Affekts der feierlich-freudigen Lobpreisung sowohl im weltlichen als auch im geistlichen Kontext möglich.

In der liturgischen Einbettung folgen die einzelnen Teile - wie sonst die Kantate - jeweils der Predigt des Pastors. Die Neutextierung geht auf das Evangelium nach Lukas zurück und stammt vermutlich von Christian Friedrich Henrici (genannt Picander). Ausgewählte Ereignisse und Themen werden zu typisch barocken Gegensatzpaaren geformt:
Niedrigkeit und Majestät steht im Zentrum des ersten Teils, von der Begegnung zwischen Himmel und Erde in der Musik, der Engel und Hirten handelt der zweite Teil, die Polarität von Gott und Mensch steht im Mittelpunkt des dritten Teils.

Die einzelnen Satzformen übernehmen unterschiedliche Aufgaben: Das Rezitativ hat erzählerischen Charakter und treibt damit die Handlung voran. Die Arie hält im Geschehen inne und gibt Raum für Betrachtungen. Der Altpartie als Stimme des Glaubens ist dabei eine mütterlich-marianische Rolle zugeordnet. In den Chorälen kommt die gläubige Gemeinde zu Wort und lädt den einzelnen Zuhörer zur persönlichen Anteilnahme auf.

Die Basis des Bach’schen Orchesters bildet ein vierstimmiger Streichersatz und ein Continuo, das in der heutigen Aufführung aus Fagott, Violoncello, Violone und Orgel besteht. Bach fügt - dem jeweiligen Inhalt entsprechend - Holz- und Blechbläserstimmen hinzu. Der protestantischen Tradition folgend sind Chor- und Choralsätze vierstimmig besetzt. Die vier Gesangssolisten unterstreichen den feierlichen Anlass.

Erster Teil. In der instrumentalen Besetzung wird der Gegensatz von reich und arm bzw. starkem König und hilflosem Kind klanglich spürbar: Die Rahmensätze entfalten mit drei Trompeten und den Pauken, sowie zwei Traversflöten und zwei Oboen eine festliche und herrschaftliche Fülle.
Als Kontrast dazu bestimmen die obligaten Oboi d’amore die Mittelsätze. Die um eine Terz tiefere Lage und der speziell geformte Schallbecher – Liebesfuß genannt – verleihen diesen Instrumenten ein runderes, dunkleres und samtigeres Klangbild. Bach erachtet die Liebesoboe als der menschlichen Stimme am ähnlichsten. Im Accompagnato-Rezitativ wird Jesus als Bräutigam bezeichnet und die Singstimme sinnfällig mit den Oboi d’amore umrahmt. In der darauffolgenden Arie ruft die Altstimme Zion, das Volk Gottes auf, sich für die Ankunft des göttlichen Heilands bereitzumachen und ihn „mit zärtlichsten Trieben ... sehnlichst zu lieben“.
In der Bassarie verliert die irdische Pracht angesichts der heilsverkündenden Krippe des menschgewordenen Gottes ihren Glanz: Trompete und Traversflöte finden zu einer klanglichen Synthese. Der Schlusschoral greift in der Besetzung auf den Eingangschor zurück, kontrastiert diesen jedoch durch die schlichte Satztechnik.

Zweiter Teil. Hier begibt sich Bach mit den Flöten und dem verstärkten tieferen Oboenregister (Oboi d’amore und Oboi da caccia) in die Sphäre der Hirten und Engel. Anstelle des strahlenden Klangs der Trompeten und des jauchzenden Chores stimmt die einleitende Sinfonia in Taktart und Gestus ein Wiegenlied an. Der dunklere Klang der tieferen Oboeninstrumente korrespondiert mit der nächtlichen Szene der Verkündigung. In dieser Pastorale findet der Choral als schlichte Liedform dreifache Verwendung.
Die Sinfonia steht in G-Dur. Die Solmisationssilbe sol für g bezeichnet im italienischen auch das Wort für Sonne und versinnbildlicht das Licht, das im Rezitativ als Klarheit des Herren und im Choral als schönes Morgenlicht angesprochen wird.
Die beiden Arien dieses Teils kontrastieren in Taktart, Tonart, Besetzung und Gestus. Während die virtuose Flöte die Hirten zur Eile antreibt, singen die vier tiefen Oboeninstrumente das göttliche Kind in den Schlaf. Obwohl das Evangelium erst in der folgenden dritten Kantate die Ankunft der Hirten bei der Krippe erzählt, schafft dieser zweite Teil eine unmittelbare, fast intime, zärtliche Beziehung des Gläubigen zum Jesuskind.

Dritter Teil. Der Eingangschor „Herrscher des Himmels“ stellt eine formale Geschlossenheit her, da er diesen eröffnet und beschließt. Darüber hinaus greift er in Besetzung, Gestus, Tonart, Taktart und mit dem Anfangsmotiv auf den Einleitungschor des Oratoriums „Jauchzet, frohlocket“ zurück und gestaltet damit eine musikalische Entsprechung für die Geschlossenheit der Weihnachtsfestlichkeiten von 25. bis 27. Dezember.
Im Gegensatz dazu folgt nach einer kurzen rezitativischen Überleitung ein Turbachor „Lasset uns nun gehen“, in dem die Stimmen der Hirten und auch der gläubigen Gemeinde sich vereinen. In ihm stehen sich drei unterschiedliche Rhythmen gleichberechtigt gegenüber. Die bewegtesten Figuren sind der Violine 1 und den Traversflöten anvertraut, die die freudige Betriebsamkeit des Reiseaufbruchs abbilden.
Im Duett „Herr, dein Mitleid“ kommt es zum innigen Dialog zwischen der Stimme des Glaubens (Sopran) und der Vox Christi (Bass), der die menschlich-göttliche Liebe in den Mittelpunkt stellt. Jeder einzelne Gläubige ist aufgerufen, die aus Liebe erfolgte Menschwerdung Christi mit Liebe zu beantworten. Der Thematik entsprechend bereitet der Komponist den Singstimmen eine Klangsphäre durch die zwei Oboi d’amore, die die Liebe in ihrer Bezeichnung tragen. Die Koloraturen sind Abbild der inneren Bewegtheit.
In der Altarie „Schliesse, mein Herze“ kommt noch einmal die Stimme Marias zu Wort, die Bach für diesen Werkzyklus einzig neu komponiert hat.

Obwohl diese Kompositionen als religiös-kulturelle Bereicherung der Weihnachtsfeiertage gedacht waren, wird dieses Vermächtnis auch zu Beginn der Adventzeit seiner Intention nachkommen.